3. Blogartikel: Selbstverständnis

Nicht aus seiner Haut können.

Es gibt Sätze, die begegnen uns immer wieder im Leben, und sie sind so in unsere Alltagssprache eingebettet, dass wir sie kaum hinterfragen.
Die Aussage "Ich kann halt nicht aus meiner Haut" ist einer dieser Sätze, der mich früher richtig aufgeregt hat. Jedes Mal, wenn ich das hörte, hatte ich das Gefühl, jemand wolle damit sein Verhalten entschuldigen, das womöglich sogar verletzend war. Ganz so, als ob es eine Ausrede dafür sei, andere Menschen zu verletzen oder Grenzen zu überschreiten, ohne Verantwortung für das eigene Tun übernehmen zu wollen.

Lange Zeit dachte ich das, bis ich zu verstehen begann, dass dieser Satz mehr beinhaltet, als ich ihm ursprünglich zugetraut habe. Es gibt Situationen in denen man wirklich nicht aus seiner Haut kann, auch wenn man es noch so sehr will. Das hat mit unserem Nervensystem zu tun, das manchmal als Reaktion auf bestimmte Auslöser plötzlich hochfährt, weil es das von vergangenen Erfahrungen so gelernt hat. Es ist ein gespeichertes Verhalten, das einmal als Schutz notwendig war und immer wieder durch bestimmte Reize automatisch abgespielt wird. Es kann sein, dass diese Auslöser keine aktuelle Gefahr darstellen und eigentlich kein Schutz notwendig wäre. Unser System kann das aber nicht unterscheiden und fährt trotzdem hoch, weil dieses Verhalten tief in uns verankert ist. In solchen Momenten kann man wirklich nicht aus seiner Haut. Unser Nervensystem reagiert schneller als wir bewusst wahrnehmen können und beeinflusst den ganzen Körper. Was da geschieht, ist nicht allein mit dem Kopf steuerbar, auch wenn wir es unbedingt wollen. Wenn du z.B. zu einer Prüfung gehst, vor der du Angst hast, kannst du dir einreden ruhig und reflektiert zu bleiben, aber wenn dein Nervensystem auf Alarm schaltet, hast du kaum eine Wahl. Du kannst dann nicht aus deiner Haut heraus. 

Um solche Situationen zu überwinden, ist das auch gar nicht notwendig. Du darfst in deiner Haut bleiben. Zur Bewältigung einer dieser Stressreaktionen ist es wichtig, sie zunächst einmal anzunehmen und ihr erlauben da zu sein. (Siehe auch meinen Blogartikel "Was ist darf sein, und was sein darf, kann sich verändern") Es ist ein Teil von dir der so reagiert. Willst du ihn weghaben oder überspielen, dann verdrängst du etwas von dir selbst. Das heißt aber nicht, dass es für immer so bleiben wird und du dem ganzen ausgeliefert bist. Wichtig ist einfach mit dir zu arbeiten und dir mit Mitgefühl zu begegnen, statt an dir zu arbeiten und dich ständig anders haben zu wollen. Veränderung passiert nämlich automatisch, indem du dein ganzes System und deinen Körper mitnimmst und ihnen auch während unangenehmen Reaktionen Sicherheit vermittelst. So kannst du nach und nach, ganz sanft und in deinem Tempo ein neues Verhalten lernen und integrieren. 
Die einzige Voraussetzung dafür ist, dass du auch mit dir arbeiten willst und du den Satz "Ich kann halt nicht aus meiner Haut" als Verständnis dir gegenüber siehst und nicht als Ausrede benutzt.